Ein neuer „Zukunftsklärer“ im Medienhof-Wedding

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„Ich mache jetzt MSA, aber dann weiß ich nicht …“, sagt das Mädchen, mit dem Dirk spricht. Der groß gewachsene, sehr sympathisch wirkende Mann hatte sie gefragt, was sie nach ihrem Schulabschluss, dem MSA, gerne machen möchte. Aber die junge Frau hat ihre Gedanken im Moment noch ganz auf ihre Prüfungen gerichtet, ist gerade dabei, die Nachhilfe im Medienhof-Wedding wahrzunehmen, und denkt noch nicht über den nächsten Herbst nach. Will sie dann eine Ausbildung machen, müsste sie jetzt langsam beginnen, sich um einen Ausbildungsplatz zu bewerben. Aber noch erscheint das Berufsleben weit weg. Und Dirk will sie beim Lernen auf die Prüfungen nicht weiter stören.

Drei Viertel der Jungs und Mädchen aus dem Wedding gehen nach der Schule weder ans Gymnasium noch machen sie eine betriebliche Ausbildung. Manche besuchen nach ihrer Schulzeit eine Maßnahme, mehr als die Hälfte bleibt aber ungelernt! Das ist angesichts des Fachkräftemangels eine schlimme Verschwendung eigentlich dringend benötigter qualifizierter Arbeitskraft. Und für die einzelnen Schülerinnen und Schüler bedeutet eine nicht erlernte Fachkompetenz zudem: unbefriedigende ungelernte Tätigkeiten über das ganze Leben hinweg, geringes Einkommen, keine Aufstiegperspektive, wenig Mittel, später eine Familie zu gründen, letztlich dann auch Armut für die eigenen Kinder.

Deshalb war es SprInt immer wichtig, die Schülerinnen und Schüler, die zu uns kommen, nicht nur bis zu ihrem Schulabschluss zu fördern. Wir wollen sie auch bei dem schwierigen Übergang Schule-Beruf unterstützen. Und zwar durch individuelles und langfristiges Coaching. D. h. wir begleiten die Jugendlichen von der Berufsfindung über die Stellensuche bis zum Bewerbungsverfahren durch einen persönlichen Coach, der dauerhaft für sie da ist.

Lange schon macht das für uns unser Ausbildungslotse Helmut Geissler. Er bietet jeden Mittwoch ab 15.00 Uhr intensive Beratungsgespräche zur Berufsbildung an und kennt sich sehr gut in der Weddinger Ausbildungslandschaft aus. Über ein Dutzend Jugendliche „lotst“ er pro Jahr in eine Ausbildung.
Jetzt konnten wir von dem Jugendberatungshaus „compass.mitte“ aber auch noch einen neuen Ausbildungscoach hinzugewinnen, eben Dirk Zampich von dem am Anfang die Rede war. Er arbeitet normalerweise im Jugendberatungshaus im Brunnenviertel und kommt nun jeden Dienstag von 15.00 Uhr bis 17.00 Uhr zu uns in den Medienhof-Wedding. Auch er will Jugendlichen aus dem Kiez helfen, die richtige Berufswahl zu treffen, um dann zielgerichtet mit ihnen zusammen das Bewerbungsverfahren anzugehen.

Dirk wird in diesem Artikel nun vorgestellt. Diese Woche habe ich mit ihm ein kleines Interview geführt. Lernt ihn also nun kennen, und, hey Jungs und Mädchen, wendet euch an ihn, wenn ihr noch keinen Plan habt, welchen Beruf ihr wie bekommen wollt!

Herbert: Lieber Dirk, könntest du mir denn sagen, was du selbst gelernt hast.

Dirk: Ja, ich habe eine Ausbildung gemacht als Erzieher und danach dann Kulturwissenschaft studiert. Das ist ein ganz breites Studium mit allen möglichen Studiengegenständen.

Herbert: Und wie bist du danach zur Berufsberatung gekommen?

Dirk: Mich hat das schon immer sehr interessiert, weil ich glaube, wenn jemand eine gute Berufsentscheidung trifft, hat derjenige auch die Chance, im Leben glücklich zu sein. Wenn ich eine schlechte Entscheidung fälle und einen Beruf wähle, der nicht zu mir passt, habe ich eine relativ große Chance, kein besonders erfülltes Leben zu führen. Berufswahlentscheidungen sind existentiell wichtige Stationen im Leben.

Herbert: Was ist denn jetzt dein Beruf? Berufsberater?

Dirk: Berufsberater ist ein etwas hässliches Wort. Vielleicht eher „Zukunftsklärer“ oder etwas in dieser Richtung.

Herbert: Bist du denn jetzt glücklich in dem Job?

Dirk: Ich mag sehr gerne beraten und Menschen unterstützen. Und wenn ich dann sehe, dass durch meine Arbeit ein Unterschied geschehen ist und ich jemandem weitergeholfen habe, ist das schon eine gute Erfahrung.

Herbert: Hast du denn auch mit dir selbst lange gerungen, so einen Beruf zu finden?

Dirk: Ja, das ist vielleicht auch ein eigenes Lebensthema. Wenn man Kulturwissenschaft studiert, gibt es darauf keine zugeschnittene Stelle.

Herbert: Kulturwissenschaft ist ja sozusagen schon die Unentschlossenheit als Studium.

Dirk: Es führt zumindest in keinen vorgegebenen Beruf. Mich hat trotzdem die Vielfalt an dem Ansatz interessiert.

Herbert: Und jetzt arbeitest du ja eigentlich für das Jugendberatungshaus compass.mitte und kommst dienstags für zwei Stunden zu uns, um hier Jugendliche zu beraten. Kannst du uns etwas über die Arbeit von compass.mitte sagen?

Dirk: Das Jugendberatungshaus ist ein Projekt des Trägers „Zukunftsbau GmbH“. Wir sind ein freies und freiwilliges Angebot für Jugendliche, die an der Schwelle stehen zu einer Ausbildung. Viele haben schon mehrfach Maßnahmen mitgemacht, haben aber immer noch keine klaren Perspektiven im Leben entwickelt. Manche stecken in einer schwierigen Situation, haben eine geringe Motivation oder ein geringes Selbstvertrauen. Wir wollen helfen, einen Weg in Ausbildung und Arbeit zu finden. Die Jugendlichen entscheiden selbst, ob sie unser Beratungsangebot annehmen oder nicht.

Herbert: Ist diese Unterstützung hier im Gesundbrunnen-Kiez besonders erforderlich?

Dirk: Meine Vermutung ist, dass es einen riesengroßen Beratungsbedarf gibt, der sich aber nicht immer in einem Beratungsbedürfnis niederschlägt. Es ist für Jugendliche nicht immer einfach, in Beratungshäuser zu gehen. Viele könnten Unterstützung bei der Frage „Was will ich eigentlich aus meinem Leben machen“ gut gebrauchen und hier im Kiez vielleicht sogar in besonderer Weise; sie nehmen aber das Angebot nicht aktiv wahr. Die Ausbildungsquoten bei einer großen Sekundarschule im Kiez liegen zum Beispiel nur bei 5 Prozent, höchstens 10 Prozent. Außerdem gibt es einen unglaublich hohen Prozentsatz hier von Schülerinnen und Schülern, die keinen Schulabschluss haben. Somit liegt hier beim Thema berufliche Integration wahnsinnig viel im Argen.

Herbert: Wenn jetzt trotzdem nicht so viele Jugendliche von sich aus solche Beratungsangebote annehmen, war das auch eine Motivation von dir, aufsuchend auf Jugendliche zuzugehen, zum Beispiel hier im Medienhof-Wedding.

Dirk: Die Chance, die wir hier sehen, ist die, dass die Schülerinnen und Schüler von sich aus schon motiviert sind, es also eine Grundmotivation gibt, was die Beratung auch erleichtert. Bei den Jugendlichen, die sich wirklich entwickeln wollen, sind die Erfolgsaussichten natürlich höher.

Herbert: Trotzdem hast du auch hier eher wenige Jugendliche, die Beratung wollen. Das Ideal, mindestens vier, fünf Jugendliche gut zu beraten in zwei Stunden ist ja noch nicht eingetreten. Siehst du auch hier im Medienhof-Wedding Beratungsprobleme.

Dirk: Das Problem liegt hier vielleicht an der kleinen Zielgruppe. Viele, die herkommen, sind nicht in einem Abschlussjahrgang. Manche im Abschlussjahrgang sind am Gymnasium und wollen im 11. Schuljahr da weitermachen. Es gibt also im Medienhof-Wedding nur eine kleine Zielgruppe von Absolventen, die bald eine Ausbildung anstreben. Außerdem sind im Moment alle so mit ihren Prüfungsvorbereitungen beschäftigt, dass ich ihre Lernsituation nicht immer wieder mit Nachfragen stören will.

Herbert: Wir werden versuchen, in unseren Verteilern nochmal auf dein Angebot aufmerksam zu machen und die ganze Woche über die Absolventinnen und Absolventen ansprechen, dass sie zu dir oder zu Helmut kommen können. Vielleicht erreichst du dann noch mehr Jugendliche, um ihnen bei der wichtigen Lebensentscheidung zu helfen. Vielen Dank jedenfalls, Dirk, dass du zu uns kommst, danke auch an deinen Träger, dass der das ermöglicht. Ich hoffe auf eine längere, fruchtbare Zusammenarbeit.

Damit wir auch in Zukunft den Schülern helfen können, benötigen wir Ihre Spende. Bitte unterstützen Sie uns unter: https://www.betterplace.org/de/projects/5160-bildungsforderung-sprint-eine-bessere-zukunft-fur-kinder-durch-bildung

Der Artikel stammt von SprInt-Leiter Herbert Weber. Herbert Weber ist gelernter Landschaftsgärtner und studierte später Politikwissenschaft, Geographie und Deutsch auf Lehramt und Magister. Nach einer Zeit als Deutschlehrer und Redakteur gründete er 2005 SprInt.