Zeit für ein Gespräch

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„In der achten Klasse bin ich das erste Mal zu SprInt gekommen“ erzählt Alikan (22), „ohne die Nachhilfe dort hätte ich das Abitur nicht gepackt.“ Kein Wunder – denn wie viele Kinder und Jugendliche aus dem Wedding musste auch Alikan Hürden überspringen, die für die Biodeutschen aus Berlin-Mitte von nebenan gar nicht existieren: „Der Wortschatz zum Beispiel. Unsere Lehrer waren dauernd genervt von uns, weil sie meinten es sei obligatorisch, dass wir dieses oder jenes wissen müssten – dabei wusste ich nicht mal was obligatorisch heißt“ sagt er und lacht, auch wenn das damals nicht so lustig war. „Das Klima in meiner Klasse war schlecht. Weder Lehrer noch Schüler hatten Lust auf Unterricht.“  

Aber Alikan ist anders, er hat Energie und Ehrgeiz. Und Lust zu Lernen. Wenn halt nicht in der Schule, dann eben bei SprInt. So kommt er fast jeden Tag in den Medienhof-Wedding und paukt Deutsch, Englisch, Geschichte. Sein Wortschatz wird größer, seine Noten werden besser. „Dafür bin ich euch sehr dankbar“ sagt der Sohn türkischer Einwanderer, selbst gebürtiger Weddinger.

„Natürlich sind meine Eltern stolz. Auch wenn sie nicht immer ganz verstehen, was ich da eigentlich tue“ berichtet er, denn tatsächlich kann man im Gespräch mit ihm schnell mal den Überblick verlieren, für was er sich begeistert: Er spielt Klavier, Gitarre, Saz, ist im türkischen Theater Secde Hikayeleri in Neukölln Schauspieler und macht Taekwondo, außerdem ist er Mitglied im osmanischen Bogenschießverein – es wirkt, als finde seine türkische Herkunft in den meisten seiner Hobbies ihren Widerhall.

„Hier im Wedding fühle ich mich wie in der Türkei“ sagt er nicht ohne Ironie, wenn gleich er hinzufügt: „Jetzt mal ernsthaft: Ich bin rein türkisch aufgewachsen, von der deutschen Mentalität habe ich hier eigentlich nichts mitbekommen. Ich bin muslimisch, habe nie Schwein gegessen, keinen Schluck Alkohol getrunken und werde bis zur Heirat enthaltsam leben.“ Nach einem kurzen Moment fügt er hinzu: „Naja, meine Arbeitsmoral ist vielleicht Deutsch.“

Denn trotz genervter Lehrer und chaotischer Mitschüler hat Alikan vor drei Jahren mit Bravour sein Abitur bestanden. Seitdem studiert er Gebäude- und Energietechnik an der Beuth Hochschule im Wedding, und wenn er fertig ist, dann will er Häuser bauen: „Ich habe schon als Kind Gebäude aus Lego gebaut und wusste, dass ich das irgendwann später mal als Beruf machen will.“

Damit der Kontakt zu SprInt nicht ganz abreißt, gibt er außerdem noch Nachhilfe bei unserer Tochter Schüler helfen Schülern. „Aber das mache ich ehrenamtlich. Die Gespräche mit Herbert sind Bezahlung genug.“ Klaro: Mit Herbert streiten macht Spaß, denn wie sooft im Wedding prallen hier zwei Welten aufeinander, die – bis auf die Sympathie füreinander – nur wenig gemein haben: „Ich bin Erdoganfan, er ist Erdoganhater. Aber das nehm ich ihm nicht übel“ sagt Alikan und muss grinsen.

Und so ist auch Alikan ein weiteres Beispiel, wie die Integration in Deutschland auf der einen Seite in einem wirtschaftlichen Sinne sehr erfolgreich laufen kann, auf der anderen Seite dabei aber trotzdem gesellschaftspolitisch scheitert: „Ich fühle mich schon als Deutschtürke, ich bin ja hier geboren und aufgewachsen, aber wenn ich ganz ehrlich bin: So richtig Teil der deutschen Gesellschaft bin ich glaube ich nicht, dafür bin ich zu sehr der türkischen Mentalität verhaftet.“

Egal. Ob Deutscher, Türke, Marsmensch: Alikan ist ein super Typ und wer nach einem Gespräch mit ihm von seiner Energie nicht angesteckt ist, der ist innerlich wahrscheinlich schon längst tot. Wir von SprInt sind auf jeden Fall froh, dass wir ihm ein Stück auf seinem Weg helfen konnten – auf dass er bald die Häuser aus Stein und Eisen baut, die er früher nur aus Legoklötzen zusammengesteckt hat!

 

 

Damit wir auch in Zukunft den Schülern helfen können, benötigen wir Ihre Spende. Bitte unterstützen Sie uns unter: https://www.betterplace.org/de/projects/5160-bildungsforderung-sprint-eine-bessere-zukunft-fur-kinder-durch-bildung

 

Der Artikel stammt von Matthias Stoecker, Blogredakteur SprInt.

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