DaZ-Fortbildung in Gussow
Das Rätsel der deutschen Fachsprache
„Die stinkenden Schaumberge, die in manchen Jahren im Sommer auftreten, stammen von einer Massenvermehrung winziger Algen. Man nennt diese Erscheinung Algenblüte. Sie wird durch die Überdüngung, z. B. mit Nitrat, ausgelöst.“
Drei normale Sätze aus einem Geographie-Buch des 7. Schuljahres. Aber sind diese Sätze unseren Schülern nichtdeutscher Herkunftssprache im Wedding verständlich?
Unsere Lehramtsstudierenden lernten im September bei einem DaZ-Seminar im schönen Gussow am See (Brandenburg), dass das überhaupt nicht der Fall ist. Die Dozentin für Deutsch-als-Zweitsprache von der Freien Universität Berlin, Frau Barbara Krischer, machte ihnen klar, wie viele sprachliche Stolpersteine für Migrantenkinder in diesen wenigen Sätzen stecken.
So gibt es z.B. schwierige Komposita wie „Schaumberge“, „Massenvermehrung“, „Algenblüte“ und „Überdüngung“, die den Kindern in der Regel unverständlich sind. Die Schüler müssen viel Vorwissen mitbringen, z.B. dass der Bauer Dünger auf seine Felder streut und die Düngermineralien dann übers Grundwasser in Flüsse und Seen gelangen. Überhaupt müssen sie wissen, was Algen und Dünger sind. Das wird im Text vorausgesetzt, ist aber häufig als Allgemeinwissen bei den Stadtkindern aus dem Wedding nicht vorhanden. Kommen dann auch noch bestimmte grammatikalische Formen dazu, die im Alltag der Kinder wenig gebraucht werden wie das Genitivattribut (Massenvermehrung winziger Algen) oder das Passiv (wird … ausgelöst), dann stehen die Kinder vor der Doppelhürde weder das vorausgesetzte Allgemeinwissen zu besitzen noch die Sprache entschlüsseln zu können. Der Textzusammenhang wird zudem durch die Proformen für die Kinder unverständlich. Viele erkennen nicht, dass sich „Sie“ auf die Algenblüte bezieht oder das mit „diese Erscheinung“ eben die Massenvermehrung gemeint ist.
Wie entschlüsselt man die Texte?
Demzufolge verstehen viele Kinder in Berlin-Wedding solche Schulbuchtexte überhaupt nicht. Die Konsequenz ist, dass kaum noch Schulbücher in Gebrauch sind. Doch viel eher müsste die Folge sein, dass man den Kindern und Jugendlichen hilft, solche Texte zu entschlüsseln. Das war genau das, was Frau Krischer während des Seminars mit unseren Lehramtsstudierenden übte. Sie lernten zu solchen Texten Glossare zu erstellen, um die Bedeutung der Wörter kindgerecht zu erklären. Zu Komposita konnten sie Zuordnungsaufgaben entwickeln. Mit anschaulichen Bildern wurde Hintergrundwissen gereicht oder es gab Übungen zu den Pro-Formen. Der Text wurde also inhaltlich und fachlich so aufbereitet, dass auch Kinder mit nichtdeutscher Herkunftssprache, die aus bildungsfernen Familien kommen, die Möglichkeit haben, einen solchen Text zu verstehen. Leider wird diese Sprachfördermethode des Sprachgerüstes in viel zu wenigen Klassen in Berlin angewandt.
Auch eine Fortbildung zum Kennenlernen
Neben der intensiven Arbeit an der Deutsch-als-Zweitsprache-Expertise was das Fortbildungswochenende auch als Teambuilding-Möglichkeit gedacht. Die Studentinnen und Studenten spielten am Abend und in den Pausen Kicker, Tischtennis und Volleyball miteinander, sangen nachts Lieder am Lagerfeuer oder gingen nach dem Seminar zum Baden in einen nahen See. Dazu gab es noch hervorragendes Essen, das Susanne, Felix und Alina zubereiteten. Beim Essen gab es viele Gespräche, denn einige der Studentinnen und Studenten arbeiteten in unterschiedlichen Schulen oder Projekten. Es gab viel zu erzählen und auszutauschen, viele lernten die Arbeit von SprInt besser kennen. Unser Gefühl war, dass das Seminar zwischenmenschlich und fachlich den Teilnehmern viel gebracht hat und dazu auch noch Spaß machte.
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Der Artikel stammt von SprInt-Leiter Herbert Weber. Herbert Weber ist gelernter Landschaftsgärtner und studierte später Politikwissenschaft, Geographie und Deutsch auf Lehramt und Magister. Nach einer Zeit als Deutschlehrer und Redakteur gründete er 2005 SprInt.