Keine Ausreden mehr, nicht zu wählen!

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Zur Veranschaulichung mal einen ganz trocknen Satz an den Anfang gestellt, den ich so oder ähnlich schon dutzende Male in Anträgen für SprInt geschrieben habe: „Ziel unserer Sprach- und Bildungsförderung ist es, den Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund und schlechten sozialen Voraussetzungen eine erfolgreichere Bildungskarriere und ein größeres Maß an Partizipation in der deutschen Gesellschaft zu ermöglichen“.

Das nennt man auch ironisch Antragslyrik. An Wörtern wie Partizipation kann man sich als Nicht-Akademiker die Zähne ausbeißen. Kennt kaum einer, auch von den deutschen Muttersprachlern nicht. Integration vielleicht noch, Teil werden der deutschen Gesellschaft, das hat man schon mal gehört. Aber Partizipation? Es bedeutet nichts weiter als „Teilhabe“, also wirklich mitentscheiden zu können. Warum schreibt man dann nicht „Teilhabe“, wenn man mit einem Antrag die Zehntausende von Euro einwerben will, die man für den Betrieb einer Bildungseinrichtung wie der unseren braucht? Weil die Menschen, die diese Anträge genehmigen eben auch Akademiker sind. Das ist deren Sprache, das ist präzise, das wollen sie hören. Die Verwendung solcher Wörter zeigt sozusagen die Qualifikation des Antragstellers.

Sprache ist Macht

Noch was wird hier deutlich: Sprache ist Macht. Wenn man diese Ausdrücke kennt, ist man klar im Vorteil und bekommt eventuell Geld für sein Projekt. Wenn wir also wollen, dass unsere Schülerinnen und Schüler erfolgreich sind, müssen wir ihnen diese schwierigen Wörter beibringen. Sie müssen deren Bedeutung verstehen, um mitreden zu können und auch erfolgreich teilhaben zu können an der Gesellschaft.

Auch die Bedeutung von Wörtern wie „Parlament“, „Abgeordneter“, „Direktmandat“ oder auch nur „Mehrheitswahl“ ist wichtig. Hier geht es nämlich um das grundlegende Recht der Teilhabe überhaupt: das der Wahl. Den Bundestag wählen darf man nur alle vier Jahre. Einmal habe ich also das Recht, eine Partei zu wählen, dann darf sie vier Jahre lang mehr oder weniger schalten und walten wie sie will. Für unsere Demokratie, für die Mitbestimmung, für die Partizipation des Volkes also ist diese Wahl also entscheidend. Und eventuell noch wichtiger für Menschen mit Migrationshintergrund, die sich hier wirklich mit ihren Interessen einbringen können, die hier vielleicht die größte Einflussmöglichkeit auf die deutsche Gesellschaft haben.

Nur, nach meiner Erfahrung kennen viele unserer Schülerinnen und Schüler die oben aufgeführten politischen Begriffe nicht. Eine meiner Schülerinnen wollte mal wissen, was das „Pergament“ mit Politik zu tun hat. Wusste ich auch nicht, bis ich merkte, dass sie das Wort falsch verstanden hatte. Viele verstehen auch das relativ komplizierte deutschen Wahlrecht nicht, wissen nicht genau, wie eine Wahl funktioniert und was man da warum wählen soll. Deshalb bleiben sie am Wahltag zuhause. Das ist verheerend, weil sie damit die größte Chance der „Partizipation“ in der deutschen Gesellschaft einfach wegwerfen. Es ist genau das Gegenteil von dem, was wir mit unserer Arbeit erreichen wollen: mehr Teilhabe.

Erklärvideos mit Herbert: Politik Einfach!

Deswegen hat SprInt Erklärvideos gedreht, in denen dargestellt wird, wie eine Wahl in Deutschland funktioniert. Inhaltlich wird das auch schon auf vielen anderen Plattformen gut rübergebracht. Es gibt zum Beispiel vorzügliche Erklärvideos bei mitmachen.de. Aber wir versuchen darüber hinaus, die vielen politischen Fachbegriffe zu erklären. Wir erklären nicht nur den Inhalt, sondern auch die Sprache, die Bedeutung der Wörter wie „Parlament“, „Erststimme“, „Zweitstimme“, „Listenkandidat“ usw. So hoffen wir, den Wahlvorgang auch Nicht-Muttersprachlern oder Menschen, die Schwierigkeiten mit der deutschen Akademikersprache haben, nahebringen zu können. Unser Name für die Reihe: Politik, ein Fach, ähh nein, „Politik Einfach!“.

https://www.youtube.com/channel/UCI9hoGUIRYI73HYIpouOrHA

Außerdem haben wir in den Lernvideos nicht nur versucht, den Wahlvorgang von Grund auf zu erklären, sondern haben auch Übungen eingebaut, die sich am Sprachunterricht orientieren. In den Übungen sollen die Jugendlichen mit den gerade gelernten Begriffen nun selbst arbeiten und sich produktiv äußern. Gedacht sind die Videos für die Sekundarstufe 1 und 2. Sie können entweder von jedem Jungen oder Mädchen selbst angeschaut, sie können aber auch vom Lehrer oder der Lehrerin vor der ganzen Klasse gezeigt werden. Der oder die Unterrichtende kann dann die Übungen mit der ganzen Klasse machen. Am Ende gibt es noch eine Musterlösung, die jeden Clip abschließt.

Als Politikwissenschaftler und Lehrer habe ich selbst den Sachverhalt der Wahl erklärt. Dominik Mader hat noch viele lustige Animationen dazu gemacht, so dass die Videos hoffentlich nicht allzu langweilig und sehr anschaulich sind. Danke dafür, Dominik. Die Kamera haben Sophia Ataya und Isabel Zalami geführt.

Ziel: Besseres Politikverständnis, mehr Wahlbeteiligung von Menschen aus dem Wedding

In den Wochen vor der Bundestagswahl und vor der Berlin-Wahl am 26. September sollen nun möglichst viele Kinder von Zuwanderern und Zuwanderinnen, die in Deutschland aufgewachsen sind, aber Deutsch nicht als Muttersprache sprechen, diese Erklärvideos sehen und dadurch vielleicht animiert und ermutigt werden, an der Bundes-, Landes- und Bezirkswahl teilzunehmen. Ich hoffe, dass weniger Menschen mit Migrationshintergrund vor der Wahl zurückschrecken und sich mehr beteiligen, weil sie den Wahlvorgang nun besser verstehen. Oder ihn nun verstehen und dann vielleicht in vier oder fünf Jahren selbst wählen, wenn sie alt genug dafür sind. Als Politikinteressierter und Demokrat wünsche ich mir das sehr. Denn sofern aufenthaltsrechtliche Bestimmungen Bürgerinnen und Bürger nicht ausschließen, hat man mit der Wahl auch im Wedding eine Chance auf echte Teilhabe, auf Partizipation in Deutschland.

Die Erklärvideos sind übrigens Teil einer politischen Bildungskampagne von SprInt zur Superwahl am 26. September. Wir werden im Vorfeld in unseren Räumen am 17. September eine U-18-Wahl durchführen. Am 30. August, 17.00 Uhr, haben wir die bildungspolitischen Sprecherinnen und Sprecher aus dem Berliner Abgeordnetenhaus eingeladen, um mit ihnen und dem Publikum über die „Schule der Zukunft“ in Berlin zu diskutieren. Über den Besuch dieser Veranstaltung durch möglichst viele Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, Studentinnen und Studenten sowie Kinder und Jugendliche aus dem Wedding würden wir uns sehr freuen.

 

 

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Der Artikel stammt von SprInt-Leiter Herbert Weber. Herbert Weber ist gelernter Landschaftsgärtner und studierte später Politikwissenschaft, Geographie und Deutsch auf Lehramt und Magister. Nach einer Zeit als Deutschlehrer und Redakteur gründete er 2005 SprInt, eine Einrichtung zur Sprach- und Bildungsförderung.