Besuch in der Lernwerkstatt

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Es ist ein ungemütlicher Montagmorgen im November. Die Pfützen auf dem Gehweg der Prinzenallee spiegeln die müden Gesichter der Passanten, die in Richtung U-Bahn hetzen. Nur hier, vor dem kleinen Tor der Hausnummer Acht, schauen ab und zu ein paar Leute nach oben, horchen. Zwischen den Häuserwänden schallen Rufe und Lachen von Kindern zur Straße. Es ist Hofpause in der Gesundbrunnen Grundschule.

Nach der Pause beginnt für die Klasse 3d die Lernwerkstatt – zumindest für die Hälfte der Klasse. Denn das ist das Konzept: wenige SchülerInnen, drei Lehrende, individuelle Sprachförderung. Die Lehrenden, das sind heute Frau Farhat, Lehrerin der Gesundbrunnen Grundschule, Herr Weber, Leiter von SprInt und Jonas, Lehramtsstudent. Auf dem Boden hat Frau Farhat ihren Einkauf verteilt: Milch, Feta- Käse, Joghurt und Eier. Außerdem ein Stück Wolle. Dazwischen stehen hölzerne Tiere: Hühner, Kühe, Schafe und Ziegen. Die Zuordnung fällt den Kindern leicht, aber bei der Erklärung fehlt der Wortschatz:

Eine Kuh gibt Milch. Wenn sie gemolken wird, dann sucht der Bauer die Zitsen am Euter. Das Huhn oder die Henne legt ein Ei, und der Hahn kräht. Wenn man Schafe schert, erhält man Wolle.

Diese Sätze sind weit weg von der Sprache, die die Kinder in ihrem Alltag gebrauchen. In der Prinzenallee gibt es keine Kühe, und wenn man versucht zu erklären, dass ein guter Dönerspieß mal Teil eines Schafkindes war, erntet man ungläubige Blicke.

Trotzdem ist es wichtig, diesen Wortschatz zu erlernen und sich präzise ausdrücken zu können, Zusammenhänge zu schildern, ohne die hölzerne Kuh demonstrativ neben den Milchkarton zu halten. Mit „das Baby trinkt aus Brust vom Kuh“ hat leider noch niemand seine Bachelorarbeit in Biologie abgeschlossen. Und genau darum geht es: Früh sprachliche Hürden abzubauen, die später zu Bildungsbarrieren führen könnten.

Die Lernwerkstatt in der Gesundbrunnen Grundschule wurde im Februar dieses Jahres von SprInt eröffnet. Zusammen mit der Robert Bosch Stiftung, dem Sprachförderzentrum Mitte und SWiM Bildung wurde der Raum renoviert und eingerichtet, es gibt eine Leseecke, Regale voller Schmökerkisten und Raum für freies Lernen. SprInt möchte mit diesem Projekt neue Bildungskonzepten erproben, die vor dem Hintergrund jahrelanger Spracharbeit mit Schülern und Schülerinnen im Medienhof-Wedding erarbeitet wurden. Der offene Unterricht schafft kreative Möglichkeiten, sich mit Fachthemen kommunikativ auseinanderzusetzen. In der Lernwerkstatt darf man quatschen, man darf Jonas fragen, woher das Lamm seine Milch bekommt und warum es Säugetier heißt. Man darf sich aussuchen, welches Arbeitsblatt man bearbeitet und soll es danach selbst bewerten: War die Aufgabe zu leicht oder zu schwer für mich?

In der Lernwerkstatt ist der Novemberblues auf jeden Fall noch nicht angekommen: Die Kinder schreiben eifrig an ihren Blättern und kreuzen alle an: „War zu leicht! Na klar! Beim Inhalt gibt es dann aber doch noch ein paar Ungereimtheiten: „Was ist nochmal ein Säugetier, Era?“  „Das ist… glaube ich, wenn das Babyschaf mit der Milch duscht!“.

Naja, daran arbeiten wir noch.

Fotos von: Inga Panovaite-Ortmann.

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